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Haus für Journalismus und Öffentlichkeit

Fragen an die Residents: SUPERRR

In jeder Ausgabe unseres Newsletters stellen wir eine Organisation vor, die im Publix-Haus arbeitet. Diesmal: Julia Kloiber, Mitgründerin der feministischen Organisation SUPERRR.

Worin besteht der Kern Eurer Arbeit?

In einer Zeit, in der sich viele kaum noch eine bessere Welt vorstellen können, lieben wir es, die Grenzen des Mach- und Denkbaren zu verschieben. Wir entwerfen mutige Zukunftsszenarien jenseits technologischer Hypes. Unsere Vorstellungskraft lassen wir uns nicht von Big Tech und ihren Ideologien rauben. Als feministische Organisation knacken wir Machtstrukturen, schmieden ungewöhnliche Allianzen und erinnern die Politik daran: Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik.

Was ist Euer Ziel?

Langfristig: Zukünfte jenseits patriarchaler Unterdrückung, in denen Technologie den Menschen und dem Planeten dient und zum Wohl aller beiträgt.
Kurzfristig: Menschen, die Machtstrukturen durchschauen, selbst bei vermeintlich komplexen Tech-Themen. Menschen mit gut trainiertem Imaginationsmuskel, die sich Alternativen zum Status quo vorstellen können. Menschen, die durch unsere Arbeit auf mutige Szenarien treffen und motiviert werden, diese in die Umsetzung zu bringen.

Was beschäftigt Euch im Moment am meisten?

Wie wir es schaffen, die Marketing-Echokammer rund um Künstliche Intelligenz zu durchbrechen und den Fokus wieder auf die eigentlichen Probleme unserer Gesellschaft zu lenken. Es vergeht kein Tag, ohne dass Einladungen zu Podien, Förderanträgen oder Kolumnen zum Thema Künstliche Intelligenz in unsere Inbox flattern. Selbst in der Zivilgesellschaft grassiert die FOMO. Der KI-Hype übertönt alles und lässt genau die (digital)politischen Themen untergehen, über die wir eigentlich sprechen müssten: Rechtsruck, Monopole, Infrastrukturabhängigkeit und vieles weitere.

Was bereitet Euch Kopfschmerzen?

Wir könnten jetzt über Plattformmacht oder Regulierung sprechen. Aber was uns wirklich Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache dass immer mehr Freund:innen und Kollaborationspartner:innen, die einst voller Begeisterung und Hoffnung nach Deutschland kamen, wieder ihre Koffer packen. Viele fühlen sich nicht mehr sicher, weil sie Muslim:innen sind, weil sie einen Migrationshintergrund haben. Selbst in Städten wie Berlin. Als diverses Team erleben wir diese Entwicklungen aus nächster Nähe und sind in Sorge.

Was war Euer größter Erfolg der vergangenen Monate?

Unser Digital Futures Gathering zum Thema digitale Gewalt. Vor zwei Wochen haben wir gemeinsam mit knapp 60 Teilnehmenden aus ganz Europa skizziert, wie gewaltfreie, zukunftsfähige digitale Welten aussehen könnten. Eingeladen waren Menschen, die sonst selten ihre Erfahrungen zu digitalen Themen einbringen können, von Fachkräften in Frauenhäusern und Sexarbeiter:innen über Community Organizer:innen bis hin zu Sozialarbeiter:innen. Ziel war es, Netzwerke zu stärken zwischen Menschen, die zu Tech-Policy arbeiten, und denen, die direkt vor Ort aktiv sind, gemeinsame Policy-Vorschläge zu entwickeln und unsere kollektive Vorstellungskraft zu trainieren.

Was ist Euer Beitrag zu einer pluralen Medienlandschaft?

Auf dingdingding.org veröffentlichen wir seit mehreren Jahren unser eigenes Magazin, über Themen, die sonst oft zu kurz kommen. Nie allein, sondern immer gemeinsam mit spannenden Co-Autor:innen. Die letzten Ausgaben widmeten sich „Muslimischen Zukünften“ – einer Sammlung aus Essays und Gedichten zu dekolonialen, antirassistischen und mutigen muslimisch-intersektionalen Zukunftsentwürfen – sowie den unerzählten Geschichten der Ausbeutung durch Big Tech, geschrieben von afrikanischen Datenarbeiter:innen.

Welches publizistische Projekt hat Euch zuletzt am meisten beeindruckt?

Das Projekt Data Workers Inquiry von Milagros Miceli. Das Projekt ist ein Versuch, Karl Marx’ Arbeiter:innenbefragung von 1880 auf das Phänomen der heutigen Datenarbeiter:innen zu übertragen, jener Menschen, die für aktuelle KI-Anwendungen unverzichtbar sind, zugleich aber prekär beschäftigt und politisch zersplittert sind.

Was braucht der Journalismus ganz dringend?

Eine kritische Sicht auf Technologie, die nicht von Trends, sondern von einer sorgfältigen Analyse von Fakten getrieben ist. Mehr Diversität auf allen Ebenen: divers besetzte Chefredaktionen, mehr Themenvielfalt und die Wiederaufnahme des Kontakts zu Zielgruppen, die in den letzten Jahren abhanden gekommen sind.

Wer oder was hat unbedingt mehr Aufmerksamkeit verdient?

Menschen, die sich in diesem Land ehrenamtlich für ein gutes Zusammenleben und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen. Die in Nachbarschaftsinitiativen, in der Kinder- und Jugendarbeit, im Schutz von Obdachlosen oder Gewaltopfern täglich im Kleinen an greifbar besseren Zukünften arbeiten und damit uns allen damit Hoffnung geben.

Was ist die beste Lektüre zur aktuellen Lage?

Das Sachbuch „Eines Tages werden alle immer schon dagegen gewesen sein“ von Omar El Akkad.

Was sollte man jetzt anhören oder ansehen?

Die Doku-Serie “Tech Bro Topia” vom Deutschlandfunk. Sie untersucht das ideologische Denken der Tech-Milliardäre aus Kalifornien und zeigt, wie aus eigenwilligen Nerds autoritäre Tech-Bros wurden. Für mehr gute Tipps empfehle ich unseren superrr Newsletter.

Was wünscht Ihr Euch für die Publix-Initiative?

Dass Publix zu einem Haus wird, auf das man in 20 Jahren aus der Perspektive einer Gesellschaft mit pluraler Medienlandschaft und lebendiger Demokratie zurückblickt und sagt: „Hier hat damals vieles seinen Anfang genommen“.

Photocredit: Marlene Burz

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