Interview mit Nina-Grunenberg-Fellow 2023: “Oft gibt es gar keine Expert:innen, nur eine Deadline”

Crashkurs Bildungspolitik gefällig? Endlich das föderale Schulsystem in der Praxis verstehen und mit Entscheidungsträger:innen darüber diskutieren? Die ersten Nina-Grunenberg-Fellows haben sich 2023 intensiv mit Bildungsthemen beschäftigt. Die freie Kölner Journalistin Birte Gernhardt war eine von ihnen. Im Interview berichtet sie, welche Erfahrungen schockierend, interessant und besonders beglückend waren.

Publix: Du warst eine von neun Stipendiat:innen im ersten Jahrgang des Nina-Grunenberg-Fellowships für Bildungsjournalismus. Warum hat Dich das Programm angesprochen?

Birte Gernhardt: Das Thema Bildung tangiert mich persönlich. Mein zehnjähriger Sohn ist gerade von der Grundschule aufs Gymnasium gewechselt und ich habe ganz nebenbei mitbekommen, welche Probleme sich an den Schulen offenbaren. Ich wollte verstehen, wie die Bildungspolitik in Deutschland funktioniert.

Publix: Wie geht es dem Bildungsjournalismus in Deutschland?

Birte Gernhardt: Es hat mich sehr erschrocken, zu hören, wie wenige offizielle Bildungsjournalist:innen es in Deutschland gibt und welche Ressourcen und Stellen in den Redaktionen gestrichen werden. Bildung ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit, über das viel mehr berichtet werden müsste. Ich empfinde da auch eine gesellschaftliche Verantwortung als Journalistin, es im Gespräch zu halten.

Publix: Welche besonderen Zugänge oder Informationen hat Dir das Fellowship vermittelt?

Birte Gernhardt: Wir hatten in den insgesamt vier Wochen lange Diskussionen mit vielen Bildungsexpert:innen. Das waren Bundes- und Landespolitiker:innen , Wissenschaftler:innen, Bildungsjournalist:innen, Aktivist:innen. Wir haben aber auch Praxiseinblicke gewonnen, mehrere Tage an Schulen verbracht und unterschiedliche innovative Konzepte kennengelernt.

Publix: Was sind die größten Baustellen?

Birte Gernhardt: Die Verschachtelung der Verantwortung auf Bundesebene und kommunaler Ebene: Das föderale System hat sicherlich Vorteile, bringt aber auch sehr viele Schwierigkeiten mit sich. Dann der große Faktor Lehrermangel, den viele Seiten versuchen zu bekämpfen, aber noch mit viel zu wenig Enthusiasmus und zu wenigen Ideen. Und die Bildungsungerechtigkeit, die durch soziale Ungerechtigkeit entsteht. Die aktuellen Zuwanderungsdebatten helfen da auch nicht gerade.

Publix: Eine wesentliche Erkenntnis?

Birte Gernhardt: Einerseits ist es schön, dass Einzelne auf allen Ebenen Dinge bewegen und Innovationen einleiten können. Aber es ist auch bisschen erschreckend, dass sowohl politisch als auch an den Schulen die Programme häufig von einem sehr individuellen, persönlichen Einsatz abhängig sind.

Publix: Wie lief das Programm ab?

Birte Gernhardt: Wir haben uns zweimal zwei Wochen am Stück in Berlin, Leipzig, Hamburg und Nordrhein-Westfalen getroffen. Zum Anfang des Stipendiums bekommt man eine finanzielle Unterstützung, sodass man auch den Kopf frei hat, sich ganz auf den Lehrgang zu konzentrieren. Im Alltag fehlt ja oft die Zeit, sich gründlich in ein Thema einzuarbeiten. Da gibt es dann in den Redaktionen oft gar keine Expert:innen, nur eine Deadline. Dieses Stipendium ist deshalb so gut, weil man die Chance hat, sich zur Expert:in ausbilden zu lassen und dann mithilfe neuer Netzwerke am Thema dranzubleiben.

Publix: Wie wirkt das Fellowship nach?

Birte Gernhardt: Wir hatten eine total tolle Gemeinschaft unter den Stipendiat:innen. Daraus ist ein reger journalistischer Austausch entstanden, der uns in Zukunft sicherlich weiterhelfen wird. Das Fellowship hat mich sehr ermutigt, mich für Bildungsjournalismus weiter zu engagieren. Diese berufliche Anerkennung war ein kleiner Glücksmoment.

Birte Gernhardt arbeitet als freie Journalistin in den Themenfeldern Wissenschaft, Politik, Nachhaltigkeit und Soziales. Sie produziert Videobeiträge für die AFP und den SID sowie zwei Podcasts. Mehr unter http://www.gernhardtmedia.de/

Publix ist Trägerin des Nina-Grunenberg-Fellowships. Das Programm wird unterstützt von der Schöpflin Stiftung, der Wübben Stiftung Bildung und der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. Die Bewerbungsphase für den zweiten Jahrgang endet am 9. Februar 2024. Hier gibt es alle Infos zur aktuellen Bewerbungsphase für das Nina-Grunenberg-Fellowship.

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