Wie überlebt Journalismus die KI?
Medienkrise ist ja immer. Jetzt reißen Tech-Konzerne die Informationshoheit an sich. Das zeigt, was den Journalismus zukunftsfähig macht: die direkte, menschliche Verbindung zu seinem Publikum.
Von Maria Exner, Publix-Intendantin

„Wir investieren unsere Kraft in den Erhalt des Status-Quo, anstatt uns auf die Welt vorzubereiten, in der wir morgen leben werden.“ Diese Bemerkung machte Meredith Whittaker, Technologie-Expertin und Präsidentin der gemeinnützigen Messaging-App Signal zu Besuch im Publix am vergangenen Donnerstag. Sie warnt weltweit bei ihren Auftritten vor der enormen Machtkonzentration in den Händen weniger US-amerikanischer Tech-Konzerne. Doch was bedeutet es, den Status-Quo auszublenden, um sich auf die absehbare Zukunft zu fokussieren – für Journalist:innen und Medienunternehmen, die mit eigenständigen Inhalten und Recherchen die Öffentlichkeit erreichen wollen?
Der Status Quo: Viele Medienhäuser und Journalist:innen waren gerade dabei, den Schlag gegen das Geschäftsmodell zu verkraften, den Google und die Social-Media-Plattformen ihnen versetzt hatten – etwa, indem sie digitale Abo- oder Mitgliedschaftsmodell entwickelt haben, die oft auf einer Balance aus frei-zugänglichen und bezahlten Inhalten beruhen. Die Zukunft: Generative KI findet jede frei-zugängliche Information im Netz, aggregiert und verbreitet sie direkt, ohne dass den Nutzer:innen wirklich klar ist, woher eine Information stammt.
Als der Google-Konzern im Mai das neue Feature AI Overview für seine Suche präsentierte, hielten viele Nutzer:innen das zunächst für einen Fortschritt: Wer eine Frage stellt, bekommt nicht nur Links angezeigt, sondern direkt eine Zusammenfassung aus verschiedenen Quellen. Doch für Redaktionen, die seit Jahren darum kämpfen, in Suchmaschinen mit ihren Inhalten und Artikeln sichtbar zu sein, bedeutet die neue Funktion eine dramatische Verschärfung eines alten Problems: Ihre Inhalte werden fernab ihrer eigenen Websites ausgespielt, die Nutzer:innen nicht mehr zu ihnen weitergeleitet – und sie werden für die unfreiwillige Zulieferung an KI-Systeme nicht bezahlt.
Eine breite Allianz aus Zivilgesellschaft, Medienverbänden und Unternehmen der Digitalwirtschaft hat jetzt gegen Googles AI Overview eine Beschwerde eingereicht bei der für die Einhaltung des europäischen Digital Services Act zuständigen Behörde in Deutschland. Ihr Vorwurf: Google benachteilige systematisch journalistische Inhalte und verstoße damit gegen Transparenz- und Fairnessregeln. Dass sich NGOs wie AlgorithmWatch und Branchenverbände wie VauNet gemeinsam zur Wehr setzen, ist der richtige Schritt. Er bedeutet anzuerkennen, welche Zukunft gerade aufzieht.
Die großen Sprachmodelle hinter KI-Anwendungen wie AI Overview, ChatGPT oder ClaudeAI sind auf Inhalte angewiesen, die Journalist:innen, Fachredaktionen, gemeinnützige Medien und viele andere erarbeitet haben. Doch im Ergebnis profitieren vor allem die Tech-Konzerne. In einem Interview mit dem Fachjournalist habe ich auf dieses Problem bereits hingewiesen und erklärt, warum besonders Fach- und Lokalmedien von dieser Entwicklung bedroht sind.
Was auf dem Spiel steht, ist die Sichtbarkeit und damit die langfristige Finanzierbarkeit von Journalismus. Wir befinden uns in einem kritischen Moment: Während Verlage gerade erst begonnen hatten, unter den Bedingungen des von Tech-Riesen wie Meta und Google dominierten digitalen Raums erfolgreiche Reichweitenstrategien zu etablieren, wendet sich das Spiel nun erneut. Und diesmal sieht es so aus, als könnten automatisierte Systeme die journalistischen Medien als Absender von Recherchen und Einordnungen faktisch zum Verschwinden bringen. ChatGPT, ClaudeAI oder Gemini werden zu Erstkontakten in der Informationssuche – aber sie bieten weder Verantwortung für den Inhalt, noch vergüten sie die Arbeit, die in seine Erarbeitung geflossen ist. Woher „weiß“ ChatGPT, was gestern im Libanon passiert ist? Diese Frage können nur Korrespondentinnen von Auslandssendern und Nachrichtenagenturen beantworten. Doch wer bezahlt deren (teure) Arbeit vor Ort noch, wenn das Ergebnis per Chatbot frei verfügbar ist?
In dieser Lage habe ich der Signal-Präsidentin Meredith Whittaker auf der Publix-Bühne eine Frage gestellt, die viele Redaktionen derzeit bewegt: Was bedeutet es für die Demokratie, wenn große KI-Modelle die Informationshoheit übernehmen, und wie sollte der Journalismus darauf reagieren – von der New York Times bis zum Spiegel?
Ihre Antwort: „Wir müssen anfangen, uns die Frage zu stellen, wie wir Journalismus als Kraft, die sich autoritären Bewegungen entgegenstellt, erhalten – auch wenn das Geschäftsmodell gänzlich verschwindet.“
Whittaker formuliert hier nicht nur ein Risiko, sondern einen Wendepunkt. Denn wenn sich das dominante Finanzierungsmodell – Reichweite gegen Werbegeld – von Journalismus weiter auflöst, brauchen wir eine klare Neuorientierung: hin zur Publikumsbeziehung statt Klickrate, hin zu Dialogräumen statt Distributionslogik, hin zum Aufbau von Vertrauen, indem Redaktionen die Bedürfnisse ihrer Nutzer:innen kennen und entsprechende Formate und Themen setzen.
Im Publix-Haus treffe ich täglich Medienschaffende, die neue Wege gehen, um ihr Publikum direkt zu erreichen. Correctiv bindet Bürger:innen in investigative Recherchen ein, die Agentur Headliner bringt journalistische Stoffe auf Theaterbühnen, und junge Lokalmedien wie Loky (Berlin), Tsüri (Zürich) oder Bajour (Basel) schaffen es, selbst 20-Jährige mit einem zugänglichen Newsletter-Stil für ihre Stadt zu begeistern.
Als Innovationszentrum für gemeinwohlorientierte Medien suchen wir – in enger Zusammenarbeit mit dem von Publix mitgegründeten Media Forward Fund – gezielt nach solchen Ansätzen und wollen sie in den kommenden Monaten noch sichtbarer machen. Wem gelingt es, stabile, belastbare Beziehungen zum Publikum aufzubauen – in der Inbox, im Podcast-Feed, auf der Startseite? Wir wollen internationale Best Practices, wissenschaftliche Erkenntnisse und konkrete Modelllösungen zusammenbringen und so das Informationsökosystem von morgen mitgestalten.
In Zeiten generativer KI braucht Journalismus mehr als Schutz: Er braucht strategische Unterstützung beim Wandel. Und genau daran arbeiten wir bei Publix.
Fotocredit: Paul Probst