Der eXit ist unsere einzige Chance
Ich habe lange gehofft, dass Twitter auch jemanden wie Elon Musk überleben könnte. Aber er hat es zerstört. Was wir gegen den Hass und die rechten Desinformationskampagnen auf X noch ausrichten können? Gemeinsam diese Plattform verlassen.
Von Anne Rabe, Schriftstellerin
Ich habe Twitter geliebt. Es war das erste und ist bis heute das einzige Soziale Netzwerk, in dem ich mich wohlgefühlt habe. Das liegt unter anderem daran, dass mein Medium der Text ist. Wenn ich auch Menschen bewundere, denen es gelingt, mit Bildern Geschichten zu erzählen: Es hat mich selbst nie interessiert, meine Foto-App zu etwas anderem als einem Notiz- und Tagebuch zu nutzen. Ich habe keine Filter, ich bearbeite meine Fotos nur, wenn mir wirklich langweilig ist, und das macht die Fotos auch selten besser. Deshalb fand ich Facebook eher anstrengend, und deshalb macht mir auch Instagram keinen Spaß. Facebook war wie die Diashows irgendwelcher Tanten und Onkel (gibt es sowas noch?). Instagram ist ein surrealer Hochglanzalptraum, in den niemand aus der echten Welt zu passen scheint. Während ich durch meine Timeline scrolle, habe ich das Gefühl, nicht aufwachen zu können, obwohl ich weiß, dass ich träume. Und wenn ich das Smartphone zur Seite lege, fühle ich mich leer und erschöpft, obwohl ich doch gar nichts gemacht habe.
Twitter dagegen, hat mich angezündet. Auf eine gute Art. Kurze, scharfe, lustige, gefühlige und informative Texte. Und das alles gleichzeitig, alles nebeneinander. Twitter fühlte sich für mich so an, als hätte jemand mein Gehirn in eine App gegossen. Ich denke lesend, ich denke schreibend. Ich denke oft vieles gleichzeitig. Und ich liebe die assoziative Kraft, aus der etwas Neues entsteht, wenn Dinge, die miteinander nichts zu tun zu haben, nebeneinander auftauchen. Twitter ist wie ein Liveessay der Gegenwart. Einer, der noch nicht redigiert wurde, ungekürzt und nicht poliert. Und das Großartige war, man konnte sich in Echtzeit zu diesem Essay austauschen. Sich einmischen, Gedanken aufgreifen, daraus etwas Neues machen.
Ich habe nicht nur Freunde über Twitter gefunden, ich habe meine beste Freundin auf Twitter gefunden. In einer Nacht während der Pandemie, in der ich ziemlich verzweifelt war, weil ich übermüdet an meinem Debütroman saß, da es mit Kindern tagsüber einfach zu laut in der Wohnung war, fragte ich auf Twitter um Rat. Ob jemand eine Bibliothek im Westen Berlins kenne, die geöffnet habe und wo nicht zu viele Menschen seien, aber ein Kaffee-Automat? Zwei Tage später hatte ich die Schlüssel zu einem Büro, in dem ich einen eigenen Schreibtisch, später sogar ein eigenes Zimmer bekam. Einfach so, ohne dass mich die Person, der das Büro gehörte, vorher gekannt hatte. Sie hatte bloß meinen Tweet gelesen, weil sie zufällig noch wach war.
Auf Twitter fand ich auch die ersten Leser:innen für meine Essays. Ich konnte Gedanken und Rechercheergebnisse hier veröffentlichen, aus denen nicht selten längere Texte wurden. Über Twitter fand ich in der Pandemie auch eine Möglichkeit, meine Kinder impfen zu lassen. Und immer wieder Inspiration durch andere. Durch ihre Texte, durch ihre kleinen Alltagsbeobachtungen, durch ihre klugen Analysen oder die treffenden Beschreibungen ihrer eigenen Unzulänglichkeiten.
Ich habe Twitter wirklich geliebt.
Aber Twitter gibt es nicht mehr. Nicht nur, weil das Netzwerk, das einst Twitter war, nun „X“ heißt. Twitter ist weg. Elon Musk hat es gekauft und kaputtgemacht. Er wollte das so, und es ist ihm hervorragend gelungen.
Auch schon bevor Elon Musk das Unternehmen vor zwei Jahren gekauft hat, hatte sich die Plattform verändert. Desinformationskampagnen, Trollfabriken und die Krisen der letzten Jahre hatten mich immer häufiger dazu genötigt, andere User zu blockieren. Kein Problem, dachte ich lange, ich würde ja auch sonst nicht jeden Menschen mit in meine Wohnung nehmen. Ehrlich gesagt, würde ich so gut wie niemanden einfach so zu mir nach Hause lassen. Warum sollte das online anders sein?
Nach der Übernahme von Elon Musk jedoch wurde es immer schwieriger, die eigene Timeline, meine Online-Bude, sauber zu halten. Dabei ging es gar nicht darum, sich nur noch in seiner eigenen Blase aufzuhalten. Es ging häufig um den Minimalkonsens des Miteinanders. Bedrohungen, Beleidigungen, Gewaltfantasien fanden sich immer häufiger unter meinen Posts. Elon Musk sorgte mit einer Veränderung des Algorithmus dafür, dass diese Stimmen dominanter wurden. Es entsprach seiner politischen Agenda. Die Blockfunktion wurde wirkungslos, und Desinformationskampagnen bekamen leichter eine große Reichweite. Seine neuen Werbepartner waren nun vor allem Fake-News-Portale und Scammer. Und der Humor verschwand. Alltagsbeobachtungen, kleine Witze, Skurrilitäten, all das verschwand. Mit ihnen verschwand die Leichtigkeit.
Das war absehbar. Elon Musk war auch vor zwei Jahren kein Unbekannter. Seine politische Agenda hatte er da längst offenbart. Auch dass sich die rechtsextremen und autokratischen Kräfte unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit daran gemacht hatten, ihre politische Agenda in den gesellschaftlichen Diskurs zu tragen, war 2022 nicht neu. Ich hatte dennoch gehofft, dass Twitter das alles irgendwie überstehen würde. Dass es, wenn man nur bereit wäre, jeden Tag ein bisschen aufzuräumen, noch irgendwo unter dem Schutt zu finden wäre. Doch Twitter war nicht zu retten. Es war einfach verschwunden. „X“ ist nicht Twitter.
In der Washington Post las ich vor Kurzem einen Artikel über die erfolgreiche Demobilisierungskampagne aus dem Umfeld Elon Musks während der US-Wahl. Unter anderem mit zielgruppengenauen Fake-Wahlspots von Kamala Harris wurden Wählergruppen davon abgehalten, ihr Kreuz bei der Kandidatin zu machen, die sie eigentlich gewählt hätten. Alle Versuche der Demokraten, diese Spots zu löschen, scheiterten. Denn die großen Plattformen wie Facebook und Google hatten nach den Vorwürfen, zu links zu sein, ihre Zugänge liberalisiert.
Der Angriff auf unsere westlichen Demokratien läuft schon lange und mit voller Kraft. Elon Musk ist Teil dieser autoritären und in Teilen faschistischen Bewegung. Wir leben im Zeitalter der gekränkten Männer, die sich an der Welt, die sie verletzt hat, rächen wollen. Es ist schwer, sich gegen sie zu wehren. Wie einflussreich sie sind, haben zuletzt die US-Wahlen gezeigt. Elon Musk möchte die Welt brennen sehen. Er möchte an der Seite des Präsidenten in Windeln tanzen und sich an all denen rächen, die er für sein eigenes Unglück verantwortlich macht. Wir als einzelne User haben wenig gegen ihn auszurichten. Recherchen und Gegennarrative nützen nichts. Sie kommen nicht durch, weil wir nach unterschiedlichen Regeln spielen.
Letztlich bleibt uns nur das Eine. Wir können unsere Userschaft aufgeben. Ihm unsere Aufmerksamkeit entziehen. Ob das Wirkung erzielt, hängt davon ab, wie viele sich diesem eXit anschließen. Und ob eines der jüngeren Netzwerke wie Mastodon oder Threads von Instagram ein echter Twitternachfolger sein kann, wird sich noch zeigen. Ich versuche es zur Zeit wie viele andere mit Bluesky. Tatsächlich erinnert einiges hier an Twitter. Die Memes, die Diskussionen. Der zugrundeliegende Algorithmus, so heißt es und so wirkt es auch, belohnt hier nicht die aggressivste Reaktion auf einen Post. Das fühlt sich gut an. Aber ich bin vorsichtiger geworden und ich habe das Gefühl, so geht es vielen. Ich hänge mein Herz an keine digitale Hütte mehr. Denn es ist klar, dass jedes Netzwerk, wenn es groß genug ist, auch wieder Teil einer politischen Kampagne seiner Eigentümer:innen werden kann.
Anne Rabes Roman „Die Möglichkeit von Glück“ über die DDR-Vergangenheit war 2023 nominiert für den Deutschen Buchpreis. Rabe ist Mitbegründerin des PEN Berlin und hat mit 65 anderen deutschsprachigen Autor:innen, Wissenschaftler:innen und Abgeordneten Anfang Dezember die Plattform X unter dem Schlagwort #eXit verlassen.
Fotocredit: Annette Hauschildt