Reporting the Machines: Eine Konferenz über KI, Demokratie und die Zukunft des Journalismus
Mit „Reporting the Machines“ hat Publix eine Plattform geschaffen, auf der Expert:innen aus Journalismus, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Technologie gemeinsam diskutieren, wie künstliche Intelligenz unser Leben, die Öffentlichkeit und demokratische Prozesse verändert und welche Verantwortung Journalist:innen in diesem Wandel tragen.
Die Konferenz ist Teil des Publix Tech-Journalismus-Fellowships, gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und realisiert in Kooperation mit dem MIZ Babelsberg und 1014 Germany. „Je weitreichender die gesellschaftlichen Veränderungen durch den Einsatz von KI sind, desto wichtiger wird es für Entscheidungsträger:innen und auch die Öffentlichkeit, einen informierten und kritischen Umgang mit der Technologie zu entwickeln. Die Konferenz hat gezeigt, wie Journalismus, aber auch Wissenschaft und Zivilgesellschaft dazu beitragen können und auf welch vielfältige Weise sie es jetzt schon tun“, sagte Sarah Luisa Thiele, Standortleiterin des MIZ Babelsberg.
Publix-Intendantin Maria Exner eröffnete die Konferenz mit einem deutlichen Appell, mehr Räume wie diesen zu schaffen: Räume, in denen kritisch über Systeme, Unternehmen und Machtstrukturen hinter KI diskutiert werden kann und die gesellschaftlichen Auswirkungen, die sich daraus ergeben. Das neue Fellowship soll eine fundierte, unabhängige Berichterstattung über technologische Entwicklungen stärken. Die hohe Zahl an Bewerbungen auf die erste Ausschreibung macht deutlich, dass es einen starken Bedarf nach neuen Förderangeboten im Tech-Journalismus gibt.
Den Auftakt machte Prof. Dr. Annette Zimmermann von der University of Wisconsin–Madison mit ihrer Keynote “The Prompt, The Press, and The Public Square: Keeping Big Tech in Check and Civil Society Strong”. Zimmermann stellte die zentrale Frage, warum Tech-Oligarchen den öffentlichen Diskurs – in alten wie in neuen Medien – so umfassend kontrollieren wollen. Sie beschrieb eine sich verfestigende „Expertokratie“, in der Bürger:innen davon ausgehen, ihnen fehle das notwendige Fachwissen, um sich an KI-Debatten zu beteiligen. Diese erlernte Hilflosigkeit stärke die Macht der Tech-Industrie, deren Expert:innen oft eigene Interessen verfolgen.
Am Beispiel sogenannter „Friend-AI“-Systeme, digitale Begleiter, die gleichzeitig Nutzer:innen überwachen, zeigte Zimmermann, wie KI unser Verhalten beeinflussen kann. Sie machte deutlich, dass hinter scheinbar neutralen Aussagen oder Technologien oft versteckte politische oder gesellschaftliche Annahmen stehen, die unsere Wahrnehmung prägen.
KI sei deshalb nicht nur ein technisches, sondern auch ein zutiefst politisches Thema, das demokratische Kontrolle und öffentliche Verantwortung brauche. Zimmermann betonte, wie wichtig kritischer Journalismus sei, um diese Entwicklungen sichtbar zu machen und die Zivilgesellschaft zu stärken.
Tech-Journalismus als demokratische Praxis
Im Anschluss diskutierten Sidney Fussell, Investigativ-Journalist und Filmemacher aus Kalifornien, und Maria Exner über die Verantwortung, komplexe Technologien so zu erklären, dass ihre gesellschaftlichen Folgen sichtbar werden. Fussell beschrieb, wie er aus der Kommunikationswissenschaft in den Tech-Journalismus wechselte und warum für ihn immer gelte: „Wir berichten nicht über Maschinen, sondern über die Menschen hinter den Maschinen.“ Gute Tech-Berichterstattung bedeute für ihn, Ideen gegen reale Erfahrungen zu testen und zu zeigen, wie Technologie Macht verteile, verstärke oder verschleiere.
An Beispielen wie Flint, Michigan, wo Algorithmen mitentschieden, wer Zugang zu sauberem Wasser erhielt, oder dem Einsatz von KI-Tools durch die Polizei zur Vorbeugung von Amokläufen, zeigte Fussell, wie tief technische Systeme bereits in gesellschaftliche und demokratische Strukturen eingriffen.
Wie KI Öffentlichkeit und journalistische Praxis verändert
Prof. Dr. Wiebke Loosen (Universität Hamburg) und Simon Berlin (Süddeutsche Zeitung, Social Media Watchblog) diskutierten, wie Digitalisierung und Automatisierung die gesellschaftliche Kommunikation verändere und was das für den Journalismus bedeute. Loosen zeigte auf, dass KI-Debatten oft blinde Flecken hätten: Journalist:innen würden über Chancen und Risiken berichten, dabei jedoch selten die zugrunde liegenden Daten oder Annahmen der Systeme berücksichtigen.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die Metaphern, mit denen KI beschrieben wird, etwa als „Tool“ oder sogar als „Therapeut“. Solche Bilder beeinflussen, wie Gesellschaft Technologie versteht und welche Erwartungen oder Ängste damit verbunden sind. Loosen plädierte dafür, diese Metaphern sozialwissenschaftlich zu analysieren, um zu verstehen, wie wir KI überhaupt erst „in die Existenz reden“.
Der Talk zeigte, wie KI den journalistischen Alltag verändert: Arbeitsabläufe, Rollen und redaktionelle Verantwortlichkeiten verschieben sich. Der viel zitierte „human in the loop“ bedeutet in vielen Redaktionen vor allem zusätzliche Prüf- und Kontrollroutinen. Gleichzeitig steigt der Druck, KI einzusetzen, bevor klare Regeln oder ethische Leitplanken existieren.
Berlin und Loosen diskutierten sowohl Chancen, etwa bessere Verständlichkeit komplexer Themen, alternative Bildbeschreibungen oder personalisierte Informationsangebote, als auch Risiken: fehlende Transparenz, unklare Verantwortlichkeiten und die Mimikry journalistischer Formen durch automatisierte Inhalte, die wie redaktionelle Produkte erscheinen, aber keiner professionellen Prüfung unterliegen. Der Journalismus steht damit vor der Aufgabe, sich selbst neu zu positionieren und zugleich kritisch über KI aufzuklären.
Best Practices: KI zwischen Unterstützung, Selbstreflexion und kritischer Beratung
Im Anschluss wurden drei Praxisbeispiele vorgestellt, die eindrucksvoll zeigten, welche ethischen, sozialen und praktischen Fragen der Umgang mit KI in ihrer Arbeit aufwirft.
Dr. Elena Heber von HelloBetter präsentierte den KI-Begleiter „Ello“, der psychische Unterstützung niedrigschwellig und barrierefrei zugänglich macht. Das System basiert auf einem klaren ethischen Rahmen, der Datenschutz und Privatsphäre schützt.
Jette Miller, Gründerin der App The Pearl, demonstrierte, wie KI zur Selbstreflexion und zur Analyse unbewusster Muster genutzt werden kann. Die App arbeitet über Sprache und Metaphern und nutzt dazu einen bewusst beschränkten Datensatz.
Stephanie Hankey, Gründerin der NGO Tactical Tech, zeigte, wie sie NGOs bei der verantwortungsvollen Nutzung von KI berät und Journalist:innen in der redaktionellen Praxis als auch in der kritischen Berichterstattung unterstützt.
Ethische Fragen der Mensch-Maschine-Interaktion
Den Abschluss der Konferenz bildete ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Aimee van Wynsberghe (Universität Bonn) und Lisa Hegemann (DIE ZEIT) zum Thema „Can Machines Care? The Ethics of Human-Machine Interaction“. Van Wynsberghe erläuterte die ethischen Herausforderungen, die KI in Lernprozessen, Anwendungen und zugrundeliegenden Methodologien mit sich bringt.
Fragen nach Verantwortung und Haftung rückten in den Mittelpunkt des Gesprächs: Wer ist verantwortlich, wenn KI Fehler macht? Wer haftet für Schäden in hochsensiblen Bereichen wie Gesundheit, Mobilität oder öffentlicher Sicherheit? Van Wynsberghe warnte davor, Verantwortung einfach auf „die Technologie“ abzuschieben, sie liege bei den Menschen, die Systeme entwickeln, einsetzen oder regulieren.
Ein weiterer Fokus war die Vermenschlichung von Maschinen. Vor allem in Pflege, Therapie oder sozialer Robotik schreiben Menschen KI-Systemen Eigenschaften zu, die sie nicht haben. Dies führe zu asymmetrischen Beziehungen, emotionalen Projektionen und komplexen ethischen Dilemmata. Pflege-Roboter, selbstfahrende Autos oder KI in der Polizeiarbeit zeigten: Viele Debatten seien weniger technologisch als gesellschaftlich. Oft liege das Problem nicht in der Maschine, sondern in fehlenden menschlichen Ressourcen oder politischen Prioritäten. Van Wynsberghe machte deutlich: Maschinen könnten keine Verantwortung übernehmen, die Menschen dahinter tragen die Fürsorge.
Die Premiere von „Reporting the Machines“ zeigte, dass KI-Debatten weit über technische Fragen hinausreichen. Sie betreffen Öffentlichkeit, Demokratie, Gerechtigkeit und die Frage, wie wir gesellschaftliche Verantwortung definieren. Der interdisziplinäre Austausch machte deutlich, wie dringend unabhängiger, kompetenter und vielfältiger Tech-Journalismus gebraucht wird und warum Programme wie das neue Publix Tech-Journalismus-Fellowship genau jetzt entstehen.